Arbeiten im Großraumbüro

2 Telefone klingeln. Die Kollegen, die zur Gremienbesprechung müssen laufen an mir vorbei, Die Tür geht auf. 2 Menschen kommen herein und diskutieren heftig. Meine anderen Kollegen tippen in ihren Computern rum, telefonieren, tragen Unterlagen hin und her, stehen auf, setzen sich wieder, ziehen Schubläden auf und zu. Ab und an kommt jemand bei mir vorbei, weil er etwas braucht. Mir werden saure Drops angeboten. Der Chef ruft mich. Ich soll kurz etwas abklären mit ihm. Am anderen Ende des Raumes führt mein Kollege ein lautes Gespräch in Englisch – die Telefonverbindung nach China ist heute schlecht. Die Kollegin am Nachbartisch hat sich ein Duftbäumchen aufgehängt. Es soll die guten Geister wachhalten und schlechte Stimmung aufhellen. Mein Kalender schickt mir die Erinnerung an den Termin in der Nachbarabteilung. Er findet in 15 Minuten statt. Eine E-Mail mit 3 roten Ausrufezeichen kommt rein und will sofort beantwortet werden. Dabei bastle ich seit 10 Minuten sehr angestrengt an der Formulierung der Mail, die auf keinen Fall eine etwas angespannte Stimmung zwischen mir und meinem Gesprächspartner noch verschlechtern darf. Mein privates Handy summt und summt. Ich sehe, dass es mein Sohn ist. Er braucht sicher prompte Unterstützung. Ein Anruf um diese Zeit ist total unüblich. Vor den großen Fenstern ziehen dicke Wolken vorbei. Im nächsten Moment pladdert heftiger Regen gegen die Scheiben. Der ganze Raum ist ein bisschen betäubt von dem Lärm. Mir kracht der Magen. Ich hatte noch keine Zeit etwas zu essen heute. Vielleicht schaffe ich es wenigstens auf dem Weg in die Besprechung einen Capuccino aus dem Automaten zu ziehen. Plötzlich kreischen zwei Kolleginnen im Büro vorne auf. Sie haben an einem Wettbewerb teilgenommen und eben erfahren, dass sie den 2.Preis gewonnen haben. Ein Kollege schlägt mir im Vorbeigehen freundlich auf die Schulter. ´Lange nicht gesehen´ stellt er fest. Als ich unterwegs bin in das Nachbarbüro zur Besprechung habe ich das Gefühl, dass in meinem Kopf ein Schwarm Hornissen brummt. Kein einziger Gedanke lässt sich wirklich fassen. Permanent taucht ein neuer auf, ein anderer verschwindet. Mir fällt ein, das ich heute Nachmittag noch den Anruf beim Notar erledigen muss, dass ich später noch an die Erledigung für meine Schwester denken muss. Ich frage mich, ob ich die Unterlagen dabei habe, die gleich in der Besprechung wichtig sein werden, ich grüße einen passierenden Kollegen auf dem Gang usw.
Am Abend bin ich „durch“. Ganz und gar. Meine Augen flackern, der Atem geht flach und hektisch, in meinem Kopf wuselt es. Im Auto habe ich keine Geduld für chaotische Verkehrsverhältnisse und hupe unentschlossene Autofahrer an. Ich fummle gleichzeitig einen Bonbon aus einem Papier, drehe das Radio leiser, lese eine SMS und bewege mich im nervigen stop and go auf die Ampel zu. Ich selbst merke, dass das kein Zustand ist. Wenn ich jetzt zu Hause aufmerksam und liebevoll sein soll, werde ich absolut versagen. Das kann ich vorhersehen. Meine Nerven sind am zerreißen. Was jetzt herrlich wäre: ein Schwimmbad – ganz für mich allein. Rein in das warme Wasser und untertauchen. Einen kräftigen Schwimmzug und dann wie eine Robbe durch das stille, umhüllende weite Blau gleiten. Ohne Atem holen zu müssen, ohne weitere Aufforderungen an mich. Einfach nur sein und sein und sein. Und mich spüren. Balsam für meine Nerven.

Unkontrollierbare Reizflut

Die Vielfalt der Umgebungsimpulse in einem Großraumbüro ist für einen Hochsensiblen schwer zu verkraften. „Erhöhte Ansprechbarkeit auf Umweltreize“ nennt das die Fachwelt. Mit dieser Ausstattung wird das Gehirn des Hochsensiblen häufiger und intensiver als bei Normalsensiblen damit beschäftigt, neue Informationen zu verarbeiten – zusätzlich zum eigenen Fokus, den er halten will. Das ist – gelinde gesagt – eine permanente Überforderung.

Überlastung und die Konsequenzen

Konzentration, Anspannung, Aufmerksamkeit und Handlungsplanung bzw. -ausführung. Hier muss ein Hochsensibler sehr rücksichtsvoll mit sich selbst werden und nach klugen Ausgleichsmethoden suchen. Sonst könnten sich früher oder später Symptome aus dem Burnoutspektrum einstellen: Unlust an dem Job, Rückzugswunsch, Schlafprobleme, Abgeschlagenheit, Antriebslosigkeit, Unkonzentriertheit, Depression etc.

Erste Auswege

Ruhiges und entspannendes Ausgleichsverhalten besänftigt das Nervenkostüm. Ruhiger Sport am Abend (kein Wettkampf mit viel Ehrgeiz) , Bildschirm ausschalten in den letzten zwei Stunden vor dem Schlafen. Häufige kleine „Nervenpausen“ wie „ins Grüne schauen und dabei Eindrücke genießen“ können guttun. Gesunde Ernährung und genussvolles Essen wirken auf den Vagus-Nerv – den beruhigenden Teil unseres Nervensystems. Deutliche Körperwahrnehmung und bewusstes Atmen sind starke Regulationsmechanismen. Wer schon tiefer eingestiegen ist in die Suche nach Bewältigungsstrategien, macht vielleicht schon Entspannungs- oder Achtsamkeitsübungen.

Die große Lösung

Wer seine persönliche Veranlagung zu verstärkter Reizaufnahme ernst nehmen will, sollte sich Hilfe holen von einer Fachperson. Ein Plan muss her, der hilft auszudünnen, zu priorisieren und zu konzentrieren. Um an anderer Stelle Zeit und Raum zu gewinnen. Für sich und die Herzensangelegenheiten. Das geht selten allein in strukturierter Projektarbeit. Sondern besser mit professioneller Begleitung. Um die eigenen Anliegen tief betrachten zu können. Die eigenen Werte wollen gründlich definiert werden, und die Lebensvision in den Blick genommen. Daraus kann existentieller Raum und existentielle Zeit entstehen – für sich selbst im Hier und Jetzt und die Ausgestaltung des eigenen Lebens.